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Schämst du dich noch oder liebst du dich schon?

Kannst du dich noch daran erinnern, wann du dich das erste Mal für deinen Körper geschämt hast?


Bei mir war es kurz vor der Einschulung in die erste Klasse. Da war ich gerade mal sechs Jahre alt. Die Schulärztin meinte zu mir, ich müsse aufpassen, was ich esse, sonst hätte ich bald vorne und hinten einen Ranzen. In diesem Moment waren noch andere Leute in dem Raum gewesen, die das hören konnten. Und die fanden es super lustig. Haha, hinten und vorne einen Ranzen. Super witzig! Ich lach mich scheckig.


Rückblickend frage ich mich, ob diese fiese Frau nicht hinter ihrer menschlichen Fassade getarnt als Schulärztin eine Ursula wie bei Arielle war. Eine Cruella de Vil von

101 Dalmatinern. Oder die böse Hexe von Schneewittchen.


Ich hatte dünne Ärmchen und Beine, nur mein Bauch war schon seit der Minute meiner Geburt rund und stand hervor. Meine Eltern waren deswegen auch mit mir gleich zu Beginn beim Kinderarzt angetreten und der meinte, dass manche Kinder eben mit so einem Bäuchlein geboren werden und dass alles gut sei.


Bis zu dem Vorfall mit der Schulärztin fühlte ich mich immer geliebt und hübsch. Bis sie mir mit einem Vorschlaghammer das Bild von mir selbst auf fast ewige Zeiten zertrümmerte.



Ich kann es nicht in Worte fassen, wie sehr ich mich für meinen sechsjährigen Körper geschämt hatte. In diesem Moment hatte sich in meinem kleinen Kopf für die nächsten 30 Jahre manifestiert, dass ich zu dick sei. Dass mein Körper etwas sei, über das sich andere immer lächerlich machen würden. Dass ich so nicht in Ordnung sei, wie ich aussah. Dass ich alles dafür tun müsse, damit mich andere akzeptierten.


Es war ein langer und vor allem schmerzhafter Weg, einzusehen, dass mein Bild über mich das der anderen gewesen war und dass ich nie genügen würde, wenn ich nicht endlich begriff, dass ich nur mir gefallen musste und sonst nichts und niemandem!

Babys beispielsweise ist es vollkommen egal ist, wie sie aussehen. Sie sabbern, kleckern sich ein, die Windeln sind voll. Und trotzdem werden sie geliebt. Die Kleinen würden nicht eine Sekunde davon ausgehen, dass sie deswegen weniger liebenswert wären.




Mal abgesehen von Flecken, dem Vollgeschmiert-sein und die Hosen voll haben: wieso können wir nicht auch wieder automatisch davon ausgehen, dass wir geliebt und akzeptiert werden, so wie wir sind? Dass das die neue Selbstverständlichkeit für uns wird?

Ich merke mit meinen knapp über Mitte Dreißig, wie es immer unwichtiger wird, ob ich heute perfekt geschminkt bin, denn ich schminke mich mittlerweile kaum mehr. Ich muss nichts mehr wegspachteln und mich hinter eine Make-up Maske verstecken. Ich betone nur noch meine Augen beispielsweise.


Ich will gepflegt sein, weil es sich für mich toll anfühlt, wenn ich meinen Körper hege und ihr das gebe, was sie gerade braucht. Ich kleide mich so, wie ich mich darin wohlfühle. Ich muss auch keine hohen Hacken mehr anziehen, nur um sexy zu sein. Das letzte Mal hatte ich High Heels 2018 auf einer Hochzeit an. Kurz nach der Trauung habe ich die Dinger von mir geschleudert und seit dem nur noch flache Schuhe angezogen. Meine Fußgesundheit ist mir da wichtiger als alles andere.


Ich habe mich, auch wenn man es nicht unbedingt rauslesen mag, mit der Situation meiner Einschulung ausgesöhnt.

Sonst wäre für mich das Loslassen einiger Glaubenssätze wie „Ich bin zu dick“ oder „Es ist wichtig, wie mich andere finden“ gar nicht möglich gewesen. Und somit auch nicht Liebe zu mir selbst.


Aber wäre ich heute die große Schwester meines damals sechsjährigen Ichs, würde ich ihr als Erstes beibringen, ihren Körper so zu lieben und anzunehmen, wie sie ist.

Dass kleine Makel besonders liebenswert sind, weil das die Individualität eines jeden Körpers ausmacht. Und falls die Schulärztin nochmal mit dem Satz „vorne und hinten einen Ranzen“ andeuten würde, sie sei zu dick, würde das kleine Mädchen mindestens so schlagfertig wie mein Ich von heute kontern: Schönheit braucht ihren Platz!








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